Am 02.09.2017 war es soweit: Die Finalkämpfe der WM 2017 wurden in der Sporthalle Hamburg ausgetragen. Da durften natürlich auch Vertreter der Box-Union nicht fehlen (leider nur unter den Zuschauern ;-)). Bereits tags zuvor bei den Halbfinalkämpfen bekam man einen ersten Eindruck, der leider nicht durchweg positiv ausfiel. Auf dem Weg zur Halle machte sich Verwunderung breit, denn nicht ein einziges Plakat wies auf die Großveranstaltung im Norden Hamburgs hin. Selbst der Eingang war nur auf Nachfrage zu finden, denn es gab keine Menschenschlangen, die darauf hingewiesen hätten. Die Beschilderung trug auch mehr zur Verwirrung bei und selbst das Personal am Eingang wusste nicht so genau, wer denn nun welchen Eingang benutzen sollte. Karten hätte man auch nicht im Vorfeld kaufen müssen, denn es gab noch genügend an der Abendkasse – und das bei 4200 vorhandenen Plätzen! Das ist einer Weltmeisterschaft ganz sicher nicht würdig und sehr schade für die Spitzenboxer aus aller Welt! Aber aufgrund der sehr sparsamen Berichterstattung in Fernsehen und Radio war das wohl nicht anders erwartbar.
Die Halbfinalkämpfe waren wirklich spannend und trotz der vielen freien Plätze herrschte ordentlich Stimmung in der Halle! Nicht alle Kampfrichterentscheidungen dieses Tages waren für Sehende nachvollziehbar, doch ging die Entscheidung gegen den letzten deutschen Athleten im Turnier, Abass Baraou, absolut in Ordnung. Sein Gegner, der Kubaner Roniel Iglesias, boxte mit viel Übersicht, tänzelte viele Attacken des deutschen Faustkämpfers aus und brachte seine Fäuste häufiger ins Ziel. Baraou gab alles und hielt durchaus mit, doch am Ende reichte es leider nicht für den Einzug ins Finale. Sehr schade für die deutschen Fans, die zum Teil von weit her angereist waren. Wir haben sogar Trainerkollegen aus Speyer und aus Mingolsheim getroffen.
Der Finaltag überraschte dann positiv: Endlich Andrang und Menschenmassen, die die Kämpfe als Zuschauer verfolgen wollten. Da waren zwei Eingänge zu wenig, lieber DBV! Eine Viertelstunde vor Beginn des ersten Kampfes stand ein Großteil der Zuschauer noch immer vor der Halle und wartete auf Einlass!
Die meisten Zuschauer schafften es dann aber doch noch, zum ersten Kampf in der Halle zu sein und gleich das erste Fehlurteil des Abends mitzuerleben. Im Superfliegengewicht standen sich Joahnys Argilagos aus Kuba und Hasanboy Dusmatov aus Usbekistan gegenüber. Für die Zuschauer eine ganz klare Sache: Der Kubaner versuchte sich, wie seine Mannschaftskollegen, in weitgehend deckungslosem Hampeln und Rumrennen, konnte aber den Attacken des flinken Usbeken oft nicht schnell genug ausweichen. Dieser boxte klüger und konzentrierter, ließ sich nicht provozieren und nutzte die Schwächen des Gegners gnadenlos aus. Eigentlich eine klare Sache. Das Urteil des Kampfgerichts war daher nicht nachvollziehbar und sorgte für laute Proteste der Zuschauer – nicht nur der usbekischen.
Pfiffe gab es an diesem Abend aber auch für AIBA-Chef Wu Ching-Kuo, über dessen Missmanagement der „Guardian“ berichtet hatte. Angeblich steht die AIBA vor der Pleite; die überwiegende Mehrheit der Mitglieder im Exekutivkomitee der Aiba wirft dem Verbandspräsidenten Wu vor, den Verband wirtschaftlich ruiniert zu haben. Wie dieser Machtkampf enden wird, wird man demnächst beim außerordentlichen AIBA-Kongress sehen. (Weitere Infos gibt es z.B. hier: http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/machtkampf-im-boxverband-aiba-um-praesident-wu-15124953.html). Die Fans hatten jedensfalls eine deutliche Meinung zu Wus Qualitäten.
Auch weiterhin gab es an diesem Abend fragwürdige Entscheidungen, vornehmlich gegen usbekische Boxer. Dem setzte schließlich Weltergewichtler Shakhram Giyasov ein Ende. Der junge Mann machte den Kampf seines Lebens und man hatte den Eindruck, dass selbst eine Dampfwalze ihn nicht hätte aufhalten können. Es gelang ihm, die Wut über die bisherigen Kampfrichterleistungen zu kanalisieren und seinen Gegner Roniel Iglesias zu demontieren. Da konnte der Deutsche Baraou fast froh sein, im Halbfinale verloren zu haben. So blieb ihm dieser bärenstarke Gegner erspart. Nach dem Kampf freute sich Iglesias mit dem Usbeken, denn er wusste: gegen einen Giyasov in dieser Form konnte heute niemand etwas ausrichten. Ein herrlicher Fight für alle Boxfans, daher hier der Link: https://www.youtube.com/watch?v=ECEi34xzjrY
Erwähnens- und sehenswert war auf jeden Fall auch der letzte Fight des Abends: Superschwergewichtler Kamshybek Kunkabayev aus Kasachstan stand dem aserbaidschaner Mahammadrasul Majidov gegenüber. Trotz der Unterstützung durch die kasachischen Fans, derer sich einige in der Halle befanden, war Kunkabayev vollkommen machtlos. Erstaunlich, wie viele Treffer der Kasache einstecken konnte! Majidov gewann an diesem Abend seinen 3. WM-Titel. Schade nur, dass sich die Halle unmittelbar nach dem Kampf leerte – so verpassten viele Zuschauer die Siegerehrungen im Schwer- und im Superschwergewicht. Nur echte Fans blieben und feierten ihre Helden! Sehr schade, dass es danach nur für VIPs eine Aftershowparty gab. So mancher Normalo hätte sicher auch gern noch etwas gefeiert und dieses große Boxfest ausklingen lassen. Auch eine Autogrammstunde mit dem deutschen Team wäre toll gewesen. Wenigstens gab es ein paar Athleten aus anderen Staffeln, die keine Berührungsängste hatten und für Fotos zur Verfügung standen:

Weltmeister im Leichtgewicht: Soufiane Oumiha aus Frankreich (re.)

Bronzemedaillengewinner im Superschwer-gewicht: Fokou Arsene aus Kamerun (li.)
Fazit: Die Organisation war leider insgesamt etwas lieblos und nicht immer durchdacht. Man setzte auf die eingeladenen Promis – u.a. Wladimir Klitschko, David Haye, Ulli Wegener, Henry Maske – und vergass dabei offensichtlich viele einfache Details. Anstatt in Honorare für ehemalige Profiboxer hätte man lieber in zusätzliches Personal am Eingang und in die Werbung für die Veranstaltung investieren sollen. Von einem Plakat, ein paar Autogrammkarten oder einem Flyer als Erinnerungsstück hätten die Fans sicher mehr gehabt als von der verworrenen Rede Klitschkos für die Vereinigung von Profi- und „Amateur“-Boxen (lieber Wladi: es sind KEINE Amateure, sondern Olympioniken! Das könntest DU eigentlich wissen!). Bezeichnend auch, dass es im Netz noch immer keine Ergebnisliste gibt. Auf der offiziellen Homepage zur WM (boxing2017.com) hat sich seit Samstag nichts mehr getan. Wertschätzung für die Athleten sieht anders aus!
Hoffen wir, dass die Funktionäre des russischen Verbandes aus den Fehlern der deutschen Kollegen lernen und bei der nächsten WM so manches besser machen. Die Sportler haben jedenfalls alles gegeben und diese WM zu einem großartigen Erlebnis gemacht! Freuen wir uns also schon jetzt auf die WM 2019 in Sotschi!!!